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AutorenbildRita Juri

28.04.2022 Ich mit mir in Afrika

Gestern Nachmittag durfte ich den kleinen Kajro hüten, während Crezelda in der Schule war. Der kleine Knopf nennt mich Oma, oder Aunty, je nach dem wie ihm gerade drum ist 😊. Wir waren zusammen im McDonalds, er hat genossen und meinen Burger gleich mitweggegessen, nebst seinen Chicken Nuggets 😊. Dafür hat er mich mit seinen Pommes gefüttert. Ein herziger Moment mit dem kleinen Mann❤️❤️❤️.


Heute Vormittag war ich im learntoread bei den Kleinen. Sie sind einfach so süss und mittlerweilen darf ich da mitarbeiten wie ein „richtiger“ Teacher 😊. Windeln wechseln, Schnudernase putzen, füttern, trösten, herumtragen, was es halt so alles beinhaltet mit 20 kleinen Kids zwischen 1+2 Jahren. Ein richtig anspruchsvoller Job. Ich bewundere unsere Teacher aufrichtig. Lilli möchte die ganze Zeit herumgetragen werden, wenn nicht, schreit sie 😉. So habe ich eine unserer Teacherinnen gefragt, wie das funktioniert mit diesem Tragetuch. Schaut her, ich sehe auch wie eine richtige afrikanische Mama ❤️❤️❤️.


Suppenküche Mama Soraya

Nach der Mittagspause habe ich Mama Soraya besucht. Ich habe euch bereits erzählt von ihr. Sie betreibt seit 5 Jahren eine Suppenküche im Township. Sie kocht täglich für 70-100 Kinder, mit täglich meine ich auch am Wochenende und an den Feiertagen. Dann brauchen die Kids noch dringender Essen, da sie keine Schule haben und entsprechend nichts zum Essen bekommen. Soraya ist super! Sie hat mir alles erklärt was sie macht und wie sie es macht. Sie sucht selbständig tagtäglich nach Sponsoren. All ihre Sponsoren sind Locals, heisst, sind Menschen die ebenfalls im Township leben. So geht sie umher und fragt einfach die Leute auf der Strasse, ob sie ihr Geld oder Lebensmittel geben können. Mittlerweilen kennt man sie und weiss man, was sie macht. Auf meine Frage, wie sie mit den Finanzen umgeht, hat sie mir umgehend einen Ordner in die Hände gedrückt. Feinsäuberlichst hat sie all ihre Einnahmen und Ausgaben monatlich und handschriftlich aufgeführt. So erfahre ich, dass dieser Dienst rund 1000€ monatlich kostet. 70-100 Mahlzeiten an rund 30 Tagen, besonders teuer hier ist der Strom und das Gas, mit welchem sie kocht. Auf den ersten Blick scheint das echt viel Geld zu sein, wenn man das jedoch runter rechnet, dann kostet eine Mahlzeit zum guten Ende ca. 40 Cent. Ich rechne mit einem Durchschnitt von 85 Mahlzeiten mal 30 Tage, dies ergibt 2550 Mahlzeiten, und nun 1000€ geteilt in 2550 Mahlzeiten, so ist es wieder günstig. Was für ein persönlicher Effort von ihr, tagtäglich dieses Geld zusammenzubetteln, zu kochen, Küchenhilfen anzufragen, kostenlos über Stunden selbst am Herd zu stehen, Buch zu führen, Mutter, Ehefrau zu sein. Ich bewundere sie. Auf meine Frage, warum sie das tut, zeigt sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie selbst hatte als Kind immer Hunger, sie erinnert sich an dieses nie enden wollende Gefühl von Hunger. Dann vor 5 Jahren hat Gott sie gerufen und ihr gesagt, sie soll helfen. Nun arbeitet sie von Tag zu Tag voller Zuversicht, doch ich spüre, dass die Ungewissheit sie schon viel Kraft kostet. Manchmal während dem Erzählen kullern ihr ein paar Tränen über die Wangen. Sie meint, weisst du, man sagt, Bildung ist das wichtigste für ein Kind. Ich aber sage, Essen ist wichtiger. Kein Mensch kann lernen wenn er Hunger hat und ständig auf der Suche nach etwas zu essen ist. Sie hat recht. Beschämt senke ich meinen Blick.


Ich möchte ihr gerne helfen, weil das was sie tut, richtig, wichtig und gut ist. Am kommenden Samstag haben wir abgemacht. Ich werde mit ihr eine Facebookseite für ihre Suppenküche aufbauen. Den deutschen Teil für unsere Region (D,CH,A) mache ich, sie übernimmt den Englischen. Zudem wird sie dann regelmässig Fotos hochladen, damit sie zu internationalen Sponsoren kommen kann. Sie braucht auch PayPal (oder einen anderen Moneytransfer), damit Menschen aus unseren Regionen möglichst unkompliziert etwas überweisen können. Auch da werde ich ihr helfen. Für Mama Soraya mit dem grossen Herzen ❤️❤️❤️.


Am Nachmittag waren meine Mädels am Zuge. Es geht weiter mit dem Beschriften der Holztafeln. Wir haben gesprayt, nun folgt der nächste Arbeitsschritt. Erst mussten sie ihren Lieblingssatz aussuchen, den sie schreiben möchten, dann auf einem Blatt Papier vorzeichnen. Ich wollte ihnen aufzeigen, dass sie mittig arbeiten sollen, immer gleich grosse Buchstaben verwenden sollen, auf die Farbzusammenstellung achten usw. oooooohhhh mein Gott, meine Nerven. Was für ein Chaos. Die Papierversionen waren fertig gestellt, nun gings ans Holz. Natürlich haben sie nicht so umgesetzt, wie es auf dem Papier war. Schräge Schrift, ungünstige Farbe, ungleichmässige Buchstaben, zu kleine Schrift, und so weiter. Ich war komplett überfordert. Immer wieder versuchte ich ihnen zu erklären, dass die Schilder schön aussehen müssen, wenn sie möchten, dass diese jemand kauft. Sie haben mir eifrig zugestimmt und mit dem nächsten begonnen. Als ob es ein Wettlauf wäre. Irgendwann musste ich mir selbst zuliebe loslassen. Natürlich kleine Korrekturen vornehmen mit ihnen und helfen, wenn nötig und möglich, aber es sind Kunstwerke von Kindern und das soll man ja schliesslich auch sehen, oder? So geht’s meinen Nerven wesentlich besser und die Kids haben ihren Spass und sind stolz auf ihre Werke.

Der nächste Schritt wird dann das Dekorieren der Tafeln sein.


Heute war der Abschluss sehr schwierig. Irgendeine der Mädels hat mit einem Acryl-Stift herumgespielt und die Bank mit Farbe bekleckert. Die Stifte sind für afrikanische Verhältnisse teuer. So habe ich sie im Vorfeld angehalten, vorsichtig mit diesen Stiften umzugehen, da diese sehr teuer sind.

Auf meine Frage, wer mit dem Stift gespielt hat und Farbe verkleckert hat, bekam ich eisernes Schweigen. Niemand war es. Jede einzelne habe ich gefragt, und jede Einzelne hat mir in die Augen geschaut und Nein gesagt. Ich sagte ihnen, dass niemand Angst haben muss. Es geht mir lediglich darum, dem entsprechenden Mädel nochmal zu erklären, wie mit den Stiften umgegangen werden muss. Trotzdem kam nichts. Ich war enttäuscht und sagte ihnen das. Wie kann ich euch Vertrauen, wenn ihr nicht ehrlich zu mir seid? Auch darauf kam keine Antwort, nur betretenes Schweigen. So brachen wir die Arbeit für heute ab. Die Mädels räumten ohne Aufforderung zusammen, wischten den Boden auf. Sie waren betroffen ob meiner offenen Worte und wohl auch ab meiner Stimmung. Strenge Diskussion liefen untereinander, sie wollten diese eine ermutigen, ehrlich zu sein und zu sagen, dass sie es war. Erfolglos bis zum Schluss.

Wir waren fertig und nun ging es darum, nach Hause zu gehen und uns zu verabschieden, was normalerweise ja immer mit einer Umarmung stattfindet. Ich hatte wirklich kein Bedürfnis nach Umarmungen, denn meine Enttäuschung war real. Plötzlich ist mir die Lehre nach Viktor Frankl in den Sinn gekommen. Er spricht über die Kollektivschuld. Kollektivschuld ist nicht in Ordnung. Er selbst war im KZ, sprach aber niemals negativ über die Soldaten. Oder über ein ganzes Land oder dessen Bürger. Er meinte, auch sie waren Opfer eines sinnlosen Krieges. So sei es nicht in Ordnung, kollektiv zu beschuldigen/verurteilen/bestrafen. Der Vergleich hinkt jetzt vermutlich, aber so war Frankls Erklärung zur Kollektivschuld.

Gewappnet mit meiner soeben gewonnen Einsicht überwand ich mich, denn es betrifft ja wirklich nur ein einziges Mädel und 14 weitere würden "bestraft“ für nichts. Ich ging auf sie zu, öffnete meine Arme und sagten ihnen, dass ich sie lieb habe. Erleichtert stürmten sie auf mich zu und so hielten wir uns alle miteinander ein paar Minuten lang fest. Ohne Worte. Es war für uns alle sehr erleichternd. Danach fuhr ich die Mädels, die weiter weg wohnen, nach Hause❤️❤️❤️.


Ich habe mir lange überlegt, ob ich diese Geschichte im Blog schreiben soll oder nicht. Wie ihr seht, habe ich mich dafür entschieden. Damit möchte ich aufzeigen, dass auch hier nicht alles Gold ist, was glänzt. Auch hier wird gelogen, gestritten, provoziert, gemobbt, auch hier sind die Kids in der Pubertät. Und auch ich habe mich mit dabei, mit all meinen Erwartungen, Hoffnungen, und auch ich treffe falsche Entscheidungen. Oder fordere etwas heraus, ohne zu ahnen, wohin das führen wird. Für die Mädels wäre das emotional bestimmt sehr schwierig gewesen, wenn ich einfach so gegangen wäre. Und auch ich wäre mit unschönen Gefühlen ins Wochenende gegangen. So kann ich dieses Erlebnis nun wieder loslassen. Ich möchte auch in der kommenden Woche nicht mehr darüber reden. Wenn jemand das Bedürfnis hat, mit mir zu reden, kann sie jederzeit auf mich zukommen, unter 4 Augen.


Wenn ich von meiner Reise nach Hause komme, kann ich ein Buch über meine ganz persönlichen Learnings in dieser Zeit schreiben. Vielleicht sollte ich das wirklich tun? Vieles, was mir zuhause als so wichtig und dringend zu diskutieren erscheint, triggert mich zwar hier auch, aber das Umfeld hier „zwingt“ mich dazu, anders zu reagieren und anders damit umzugehen. Das schöne daran ist, dass es sich zum Schluss gut und richtig anfühlt. Ohne grosse Diskussionen und verletzte Gefühle. Ich möchte mein hier angelegtes grosszügiges Denken gerne mit nach Hause nehmen. Mir selbst zuliebe und auch euch, meinen Lieblingsmenschen zuliebe. Ich hoffe es gelingt mir❤️❤️❤️.



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